Samstag, 27. April 2013

Filmnotiz Nachtzug nach Lissabon

Nachtzug nach Lissabon
Regie: Bille August
D, CH, P 2013
110 Minuten

Lag es an der deutschen Version des Film oder war meine Verwirrung Intention des Regisseurs? Die Einführung in die Handlung des Films wirkte so unwahrscheinlich, dass ich mich zunächst ärgerte, 9 Euro ausgegeben zu haben.
In übersetzten Filmen sprechen alle Deutsch, egal ob die Person von einem Land in ein anderssprachiges Land wechselt und selbst bei parallelen Geschichten in zwei oder mehr Ländern sprechen alle Deutsch. So auch hier.

Ein Schweizer Gymnasiallehrer der so genannten klassischen bzw. toten Sprachen verhindert auf den morgendlichen Schulweg den Selbstmord einer ihn unbekannten Frau. Die Frau ist Portugiesin und begleitet ihn danach in die Schule. Als sie ohne ein Wort die Schule verlässt, bleibt ein portugiesisches Buch zurück. Eine kurze Lektüre in dieser poetisch-philosophischen Schrift und ein (!) Bahnfahrschein von Bern nach Lissabon reißen den Lehrer aus seinem Leben und die Fahrt beginnt.

Sprachbegabung und Motivation sind irreal. Es sind die aus dem Hintergrund vorgelesenen Passagen aus den portugiesischen Buch, welche den Film retten, tragen und schließlich genießen lassen. In Lissabon geht es weiter von Unwahrscheinlichkeit zu Unwahrscheinlichkeit und jetzt sind es neben den Lesungen die Szenerie und die Schauspieler die überzeugen, aber nicht die gefilmte Handlung.

Die beschriebene historische Situation könnte den Film und viele weitere Filme tragen. Es geht um Opposition in einer Diktatur und das anhaltende Schweigen der Überlebenden dieser Zeit. In Portugal wird die Diktatur stets mit den Namen António de Oliveira Salazar (1889-1970) verbunden, der den neuen Staat (Estado Novo) postulierte und eine Struktur der Unterdrückung schuf, die Oppositionelle ins Exil trieb oder Folter, Gefängnis und Tod brachte. Andere Kritiker lernten zu schweigen.

Portugal aber auch Spanien haben noch immer nicht den Punkt erreicht, wo sich das jeweilige Land mit seinen Opfern versöhnt oder diese zumindest nachträglich würdigt (siehe Stolpersteine) und die Täter und wesentlichen Mitläufer benennt. Denn es waren nicht die Individuen Hitler, Mussolini, Salazar oder Franco, welche die Diktaturen am Leben erhielten, sondern die Vielen, die von so einen System überzeugt waren und für sich Vorteile sahen.
Deutschland hat 25 Jahre gebraucht bis die Aufarbeitung der Gräuel in den Familien und den Ortschaften begann und nach mehr als 65 Jahren ist dieser Gesellschaftsprozess noch nicht abgeschlossen. Die portugiesische Diktatur endete 1974, die Franco-Diktatur 1975, also vor mehr als 30 Jahren und die Aufarbeitung steht erst am Anfang. Es wird noch zu viel geschwiegen und vertuscht.

Die philosophischen Texte im Film thematisieren nicht direkt die Diktatur. Es sind Gedanken aus einer inneren Emigration. Gedanken über Freiheit, das Leben, ein besseres Leben.
Die Kraft dieser Aussagen ließ mich manchmal Schmunzeln, da ich an den Autor des zugrunde liegenden Buches dachte. Es ist schon lustig, wenn Peter Bieri als Professor für Philosophie das Medium Roman nimmt, um seine Ansichten zu verbreiten.
Aber vielleicht war mein Schmunzeln auch ein großes Missverständnis. Ich schien der einzige im Kino zu sein, der den Roman nicht gelesen hatte. Vor dem Film im Foyer hörte ich viele Bemerkungen zu den Buch und als der Abspann lief war links, rechts und hinter mir viel Kritik über die Abweichungen zwischen Buch und Film zu hören.
Doch das ist ein ständiges Missverständnis vieler Kinogänger. Ein Buch ist ein Buch und ein Film ist ein Film, kein Buch kann als Film wiedergegeben werden. Der Wechsel des Medium führt zwingend zu unterschiedlichen Tempo und das Visuelle zu stark abweichenden Reizen.
Das ist auch meine große Kritik an den Regisseur Bille August. 1993 wusste er bei der Verfilmung des Romans "Das Geisterhaus" und wieder 1997 bei der Verfilmung des Romans "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" das es um eine Adaption für die Leinwand geht. Das eine Grundidee eines Buches mit visuellen Mitteln wieder gegeben werden kann. Die reine Bebilderung von bemerkenswerten Textauszügen reicht nicht. Es ist wahrlich keiner seiner großen Filme.

Ich freue mich nun auf den Roman und hoffe dort einige der bemerkenswerten Sätze wieder zu entdecken und ausgewählte Zitate hier zu servieren (siehe Ende der Seite).

Trotz dieser ambivalenten Bemerkungen erhält der Film (wegen der Texte!) von mir noch die Gesamtnote 3+ oder entsprechend 6 von 10 möglichen Punkten der Filmbewertungsskala.
Der Film war sehr erfolgreich an den Kinokassen. Die Filmförderanstalt verzeichnete bis Ende 2013 814.425 Besucher. 
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Zitate aus dem Roman:

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