Freitag, 19. Januar 2007

Arno Schmidt fehlt im Kanon

Eine gute Freundin ist am gleichen Tag geboren wie der Schriftsteller Arno Schmidt. So gedenke ich jedes Jahr auf ihrer Geburtstagsfeier gleichzeitig einem der größten Wortkünstler der deutschen Sprache nach dem Zweiten Weltkrieg.
Ein Schriftsteller wird vor allem durch seine frühe Biographie geprägt. Mit Erstaunen, das manchmal auch in Erschrecken mündet, höre ich immer wieder, dass selbst Menschen, die Deutsch bis zum Abitur hatten, keine Texte von Arno Schmidt noch seine Person kennen. Er gehört unverständlicherweise immer noch nicht zum Kanon der Literatur für die Oberstufe. Dieser Text wurde speziell für Stefan in Helsinki geschrieben!
Ich bin seit Jahrzehnten ein Fan von Arno Schmidt und mehr als zwei Regalmeter zeugen davon. Mit großem Interesse wurde seine Biographie gelesen, um die wertenden Elemente seiner Erzählungen und Romane besser zu verstehen.


Am 18. Januar 1914 wurde in Hamburg-Hamm in die Familie des Polizisten Friedrich Otto Schmidt (1883-1928) und seiner Frau Clara Gertrud geborene Ehrentraut (1894-1973) ein zweites Kind geboren, dass den Namen Arno Otto Schmidt erhielt. Nach der Volksschule ging er zur Realschule und nach dem frühen Tod des Vaters, zog die Mutter zurück in ihre schlesische Heimat nach Lauban und Arno Schmidt besucht nun die Oberrealschule in Görlitz, die er 1933 mit einem guten Abiturzeugnis beendete. Literarische Neigungen führten bereits zu ersten Fingerübungen.
Ohne Lehrstelle oder anderer Arbeit wurde weiter an einer Höheren Handelsschule gelernt, bis von 1934-37 eine Lehre zum Kaufmann bei der Textilfirma Greiffwerke absolviert wurde. Hier lernte er auch sehr schnell seien Kollegin Alice Murawski kennen und schätzen. Er hatte ein seelenverwandtes Wesen gefunden, die sich auch an den Bücherwelten vorheriger Jahrhunderte erfreute. Am 21. August 1937 heirateten sie. Aus Briefen und wenigen erhaltenen Schriftstücken ist bekannt, dass sein Wunsch ein freier Schriftsteller zu werden, hier bereits reifte, aber sich nicht realisieren ließ.

Die Militarisierung und der Zweite Weltkrieg zwangen ihn auch in die Rolle eines Soldaten. Seine Aufgaben waren in Schreibstuben und erhielt eine Spezialausbildung zum Englischdolmetscher. In der Form einer inneren Emigration begann er ernsthaft erste Stücke zu schreiben, die keinerlei Bezug zur Realität zeigten. 1941-44 war er in Øveraasjøen am Romsdalsfjord in Norwegen stationiert. 1945 half er in einem letzten Urlaub seiner Frau bei der Flucht aus Schlesien. Sein Fronteinsatz führte ihn nach Niedersachsen und bei Vechta begab er sich am 16. April 1945 in britische Gefangenschaft. Bereits ab August war er als Dolmetscher für die britische Besatzungsarmee in Niedersachsen tätig.

Im Dezember 1946 endete seine Tätigkeit und er erklärte sich zum freien Schriftsteller. Zu dieser Zeit hatte er mit der Erzählung Leviathan seine Auseinandersetzung mit dem Krieg begonnen. Diese Prosa wurde 1949 von Rowohlt veröffentlicht und erhielt im Folgejahr mit vier weiteren Nachwuchsautoren den Literaturpreis der Mainzer Akademie der Wissenschaften und Literatur einschließlich eines Preisgeldes von 10.000 Mark. Schmidts Anteil von 2.000 Mark entsprach einer Summe, die er sonst in zwei Jahren ausgegeben hat. Es war also ein Überlebenspreis und die Laudatio von Alfred Döblin machte ihn in Deutschlands literarischer Welt bekannt.

Leviathan oder die Beste der Welten zeigt bereits ein Stilelement, dass in den Folgejahren weiter entwickelt wurde.
Die Geschichte wird zum Teil in von ihn so genannten Fotos erzählt (Siehe auch einen früheren Eintrag). Einzelne Erinnerungsbilder beschreiben die Flucht einer zusammengewürfelten Gruppe in mehreren Waggons über wenige Tage. Der Leviathan steht für jede Form von autoritärer Herrschaft, die sich über die Jahre ändern mag:


"Dennoch bleibt der Leviathan, der seine Bosheit bald konzentriert, bald in größter Mannigfaltigkeit und Verteilung genießen will. -"

(Leviathan, nach dem Erzählerischen Werk in 8 Bänden, Band 2, S. 22)
Ich halte es für müßig über Literatur zu schreiben. Es erscheint so schwierig, wie Musik in Töne zu fassen. Individuell kann und soll eine intensive Beschäftigung erfolgen, damit die Schönheit einer vielfältigen Sprache erfahren und dann gelebt wird. Siehe auch den Eintrag in der WIKIPEDIA mit weiteren Verknüpfungen 


4 Kommentare:

Stefan hat gesagt…
Ui, danke, dass du dir solche Mühe machst, meine Bildungslücken zu schließen. Ich selbst habe noch keine gefestigtere Meinung zu Arno Schmidt. Ich werde das Ende des Buches abwarten, das du mir geschenkt hast (Aus dem Leben eines Fauns), welches ich erst kürzlich in Angriff genommen habe. Ich hatte noch Anderes zu Ende zu lesen.

Großen Anteil an meiner Lesezeit nimmt auch mein Studium ein - besonders mein Physikbuch ist schon gut abgegriffen. Ich lese darin auch gerne schon mal im Stoff voraus. Manchmal ist das Gefühl klasse, in der Vorlesung ganz entspannt zu sitzen und zu denken: "Ha, was der da vorne zeigt, kann ich alles schon." :D
Stefan
20. Januar 2007 15:32

Ulaya hat gesagt…
Ich kann dich beruhigen. Die Infos über Arno Schmidt waren nicht nur für dich. Ich habe mehr Details ausgeführt, als zum Beispiel in der Wikipedia zu finden sind. Aber AS ist für mich auch ein besonderer Fall. Ich war schließlich vor zehn Jahren sogar Mitglied der GASL (=Gesellschaft der Arno Schmidt Leser), einem sehr elitären Zusammenschluss.
20. Januar 2007 23:42

Stefan hat gesagt…
Warum füllst du dann die Wiki nicht mal auf?
Hrmgrmpf, du und 'dein' "elitär". Ich meine jetzt das Wort. :)
29. Januar 2007 17:07

Ulaya hat gesagt…
Hast ja Recht und die Quellenlage ist deutlich und durch die Arno-Schmidt-Stiftung veröffentlicht. Wenn sonst niemand den Beitrag ergänzt, werde ich die notwendigen Zusätze schreiben.
29. Januar 2007 23:04

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