Mittwoch, 15. Oktober 2008

Adolf Muschg 2001 Sutters Glück

Nach dem Glück den Autor Anfang September dreimal in Lesung, Diskussion und Gespräch zu erleben, war dieser Roman mit einem besonderen Reiz verbunden. Ich hatte bereits vor den Termin den Roman begonnen, war aber wegen Arbeitsbelastung nicht in eine Stimmung gekommen, mehr als nur die ersten Kapitel zu lesen. Hier nun meine Nacherzählung:

Erzählt wird die Geschichte von Emil Gygax, einem pensionierten Gerichtsreporter einer Schweizer Tageszeitung. Das Buch hat drei Teile: Die Warnung – Gespenster – Im Hochtal.

Die Warnung
Es beginnt mit einem Rätsel und der Information, dass Sutters Ehefrau Ruth vor kurzem verstorben ist. Erst im 5. Kapitel wird geklärt, warum Emil Gygax auch kurz Sutter heißt. Es wird konsequent aus der Perspektive von Sutter erzählt und damit oftmals auch kritisch die Beschränktheit seiner Sicht verdeutlicht.
Sutter fand sein Glück und lernte schnell, dieses nicht zu hinterfragen. Das Glück war seine Frau, die selbst nur selten an seinem Kampf um Worte zur Beschreibung eines Gerichtsverfahrens teilnahm. Er hinterfragte im Gegenzug auch ihre Interessen, da er mit dieser Situation glücklich war. So verblieben Geheimnisse aus dem Leben der Frau.
Geheimnisse, Rätsel und schließlich ein Lungendurchschuss bringen Sutter dazu, sich aus der Witwer-Depression zu lösen und sich auf die Suche nach den Menschen zu begeben, der ihn so sehr hasst, dass er auf ihn schießen konnte.
Das Attentat selbst liefert keine Hinweise, wie auch die Polizei feststellen muss. Die Waffe war eine von den Millionen Gewehren, von denen jeder Wehrpflichtige eine zu Hause hat. Es gab keine Augenzeugen und keine weiteren Spuren am Tatort.
„Aber er, oder sie, wollte doch etwas von mir wissen. Genug, um auf mich zu schießen. Da musste jemand etwas loswerden, mindestens eine Kugel. Als Mensch interessiere ich mich selbst nicht mehr besonders. Aber als Fall? Das wäre etwas Neues.“
(Adolf Muschg (2001) Sutters Glück, S. 117)
Gespenster
Als Gerichtsreporter hat Sutter die Kunst beherrscht, die Hintergründe und Emotionen, die zu einer kriminellen Tat führten zu analysieren und herausragend zu beschreiben. Dieses Talent möchte er nun in seinem Fall anwenden, muss aber immer wieder feststellen, dass er sich nun auch mit seiner verstorbenen Frau beschäftigen und die Fragen stellen muss, die er ihr als Liebender nicht gestellt hat.
In diesem zweiten Teil sieht Sutter Gespenster. Sei es, dass er sich lebhaft an Gespräche und gemeinsame Aktivitäten mit seiner Frau erinnert. Sei es das er wechselnde mögliche Täter verfolgt und schließlich, dass er sich manchmal beobachtet fühlt und eine Ahnung hat, dass ein weiterer Versuch ihn zu töten folgen könnte.
Sutter vermutet den Tathintergrund in seinem „letzten Fall“, den er für seine Zeitung abgehandelt hat. Einer seiner früheren Nachbarn und Freunde, der nun ein weltweit bekannter Künstler ist, war moralisch mit-verantwortlich für einen Totschlag., Aus diesen Fall ergeben sich für Sutter alleine eine Dutzend Gründe, warum ein Mensch auf ihn schießen sollte.
Sutter hat etwas von einem Misanthrop an sich. Mit der Ausnahme der erinnerten Gespräche mit seiner Frau sind alle „aktuellen“ Dialoge von Zynismus und Sarkasmus geprägt. Es gehört wenig dazu, Sutter nicht zu mögen. Im Gespräch sagt er Freunden und Bekannten auf den Kopf zu, dass sie wohl auf ihn geschossen haben. Die Reaktionen sind so eindeutig, dass sich die Zahl der Verdächtigen reduziert.
Seine kontinuierliche Berichterstattung über das Totschlag-Verfahren hatte damals den Ausgang des Prozesses beeinflusst. Vom Mord (wenn Ehefrauen töten wird stets zunächst von Mord ausgegangen, bei Ehemänner eher Totschlag) wurde die Anklage auf Totschlag vermindert und im Urteil dann daraus sogar ein minder schwerer Fall, der nur mit einigen Jahren Gefängnis gesühnt werden musste.
Die eigenen Akten zu diesen Verfahren sind nur ein Teil der großen Erinnerungssammlung die Sutters Haushalt ausmachen. Seine Versuche schriftliche und andere Erinnerungen zu sortieren, um sich im Ergebnis von vielen zu trennen, führen nur zu zunehmenden Chaos im Haus, weil zwar Regale und Schränke geleert werden, deren Inhalt aber überall auf den Boden zu thematischen Stapeln und Haufen sich ansammelt. Deren Durchsicht führt zu weiteren Erinnerungen, die schließlich verhindern, dass auch nur ein Teil entsorgt wird.
„Die beste Absicht, nur Dinge zu behalten, mit denen sich ein schlichtes Lebensbedürfnis verband oder eine wirklich kostbare Erinnerung, erwies sich als undurchführbar. Für den entschlossenen Blick ist so gut wie alles entbehrlich, für den melancholischen so gut wie nichts. Er entdeckt immer mehr, was er nicht missen kann, um sich zu bestätigen – oder zu verbergen -, wie viel er vermisst.“
(Adolf Muschg (2001) Sutters Glück, S. 187)
Im Hochtal
Im dritten Teil reist Sutter ein Jahr nach dem Tod seiner Frau ins Gebirge, um dort wie jedes Jahr zuvor –nur diesmal alleine- einen Gasthof u besuchen. Die Gespenster erscheinen noch, doch sind es nur noch Selbstgespräche mit seiner Frau. Ruth Rohner hatte Krebs und war im schmerzhaften Endstadium am Urlaubsort ins Wasser gegangen. Sutter wollte am Todestag ihre Asche im See versenken.
Einige Rätsel sind bis hierher gelöst, aber neue kommen hinzu. Das dramatische Ende wird hier nicht geschildert.

Adolf Muschg hat die Gabe, alltägliche Situationen und ihre Missverständnisse in angenehme Prosa zu bringen. So wird zum Beispiel aus einer Frage nach den Weg zu einem Tierheim, eine Szene, die das Misstrauen vor jeden Fremden schildert. Alle Anderen sind die Bösen, wie der Spießer sagt.

Es ist ein Buch über die große Liebe, ihren Verlust und der Verarbeitung derselben. Ich werde den Roman weiter empfehlen, wenn auch nicht an jeden.

Adolf Muschg (2001) Sutters Glück. Suhrkamp
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Zitate von Adolf Muschg:

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