Sonntag, 15. Mai 2011

Arno Schmidt Zettels Traum – reloaded

Freunde der Sprache und Werke von Arno Schmidt sortieren sich oftmals an seinem Opus magnum Zettels Traum. Das Typoskript von 1970 mit seinen 1.334 A3-Seiten ist nur schwer zugänglich und die akademischen Fans haben es nur zu oft zu einer nicht versiegenden Quelle für Aufsätze und Bücher gemacht, welche Sprache und Prosa scheinbar an den Rand drängen.

Am 19. April 2011 hatte ich das nur schwer zu beschreibende Vergnügen im Literaturhaus Hannover eine Präsentation der Arno Schmidt Stiftung zu genießen, in welcher die seit wenigen Monaten erstmals im Satz erschienene Ausgabe von Zettels Traum vorgestellt wurde. Die Literatin und Geschäftsführerin der Stiftung Susanne Fischer stellte das Werk, der Typograph Friedrich Forssman die Probleme und Lösungen bei der Umsetzung eines Typoskripts in ein gesetztes Buch und der Literaturwissenschaftler Bernd Rauschenbach die Lesenden und Zugänge zum Buch vor.
Dies wurde mit einer Lesung von den Anfangsseiten, einem Gespräch, das die zukünftige Weiterentwicklung des Werks Arno Schmidts zum Dialogroman vorweg nimmt, und der letzten Seiten flankiert.

Mit KAFF wurde mir das doppelte Vergnügen des Lesens und des Vorlesens Arno Schmidts bewusst. So auch hier; Forssman und Rauschenbach inszenieren ihre Lesung. Melodie und Takt von Zettels Traum werden hörbar und Gestik und Mimik besonders von Bernd Rauschenbach machen dies zu einen Ereignis.
Die letzte Satz war ganz bewusst nicht in der Vergangenheit formuliert, denn das Buch wird noch an anderen Orten vorgestellt und wer die Chance hat, dies zu erleben, sollte sich dieses Vergnügen nicht entgehen lassen.

Susanne Fischer zeigte, dass Zettels Traum vor allem - wenn auch ein sehr voluminöses – Beispiel für Prosa ist. Sie führte durch das Buch und eröffnete damit Möglichkeiten schwierige Passagen im Kontext zu sehen und zu verstehen. Das Buch ist nicht in den Passagen zu verstehen, sondern nur als Gesamtwerk, da nur dann die vier Protagonisten verständlich sind und die zugrundeliegende Etym-Theorie vollständig erläutert wird. Es sollte nicht als ein Widerspruch aufgefasst werden, dass selbst Arno Schmidt darauf verwies, dass ein interessierter Leser nicht unbedingt mit dem 1. der 8. Bücher, in die Zettels Traum gegliedert ist, beginnen muss.
Der Typograph Friedrich Forssman sagte, dass er seit der Lektüre von KAFF auch Mare Crisium ein Fan der Literatur von Arno Schmidt ist. Zettels Traum erschien ihn als Typoskript nicht lesbar und so entwickelte er als Idee für das erste eigene Studienprojekt den Satz von ausgewählten Seiten aus Zettels Traum. Dieses Ergebnis zeigte er auf der Frankfurter Buchmesse Ernst Krawehl vom Fischer Verlag, wo die Rechte an dem Typoskript liegen. Doch der verwies gleich auf die Arno Schmidt Stiftung und deren Stand, wo sein Arbeitsergebnis auf großes Interesse traf. Dies war der Beginn seiner Arbeit für die AS-Stiftung. Es dauerte dann aber 20 Jahre bis mit Zettels Traum die so genannte Bargfelder Ausgabe abgeschlossen wurde. Die Arno Schmidt Stiftung nutzte sein Fachwissen während der Zeit für die Gestaltung und Edition anderer Werke und Präsentationen, aber alleine ein Jahrzehnt der Arbeit war Zettels Traum gewidmet. Es gab vielfältige Probleme zwischen der Umsetzung von 1.334 Seiten Typoskript in mehr als 1.500 Seiten Buch. Die stilistischen Elemente der Interpunktion und die Variationen der Kolumnen sollten beibehalten werden, ohne dass das wesentliche Element einer kontinuierlichen Kolumne und der bis zu zwei Begleittexte von der ersten bis zur letzten Seite verändert wird. Da gestrichene Kürzungen nicht wieder gegeben wurden und handschriftliche Ergänzungen nun im Druck erschienen, variierte die Textmenge einzelner Seiten zwischen Typoskript und Buch. Einzelne Blätter des Typoskript erscheinen wie ein Kunstwerk im Kunstwerk und dort musste besonders darauf geachtet werden, dass der Seitenbeginn identisch mit dem Blattbeginn ist. Die Zeilenzahl pro Seite blieb stets gleich und dies führte zu einen wiederholten Prozess des Austarieren von Wortabständen, wobei die Interpunktionskombinationen wie Worte behandelt wurden. Forssman sagte aber, dass schließlich ein Punkt erreicht wurde, an dem entschieden wurde, dass das Buch jetzt fertig ist. Der Prozess der Anpassung vom Buch an das Typoskript hätte auch noch Jahre weiter gehen können. Jetzt ist Zettels Traum ein Buch und wartet auf die interessierten Lesenden.
Bernd Rauschenbach stellte ironisch die verschiedenen (angeblichen) Leserinnen und Leser Zettels Traums vor. Ich erkannte mich selbst in einer Gruppe. Ich hatte nach etwa 50 Blättern meinen Leseversuch unterbrochen und mir dieses Werk (wie andere Bücher anderer Autorinnen und Autoren) für eine unbestimmte Zukunft reserviert.
Das Typoskript kann gelesen werden und dies ausdrücklich als ein literarisches Werk und nicht nur als ein Objekt für Germanisten, Linguisten und POEtologen. Um Zettels Traum zu lesen und zu genießen sollten die vorherigen Werke und hier vor allem KAFF bekannt sein. Da es u.a. eine Auseinandersetzung mit der Biographie und den Texten von Edgar Poe ist, sollte dessen Werk geschätzt werden. Alles andere wird im Buch selbst erklärt.
Jedem dieser Referate folgte jeweils die Lesung von 1-2 Seiten aus dem Buch. Dabei wurde auch auf die Zweistimmigkeit geachtet, wie bereits bei der Lesung, die ich vor etwa 20 Jahren erlebte. Die umgebenden Naturgeräusche während der Haupthandlung am Buchanfang erzeugten den Charakter eines Hörspiels.
Ich werde mir das Buch Zettels Traum zurzeit nicht kaufen. Dies nicht nur wegen des Preises von 348,00 Euro, sondern weil bei mir das nicht ausgelesene Typoskript liegt.
Zum Ende meines ersten Leserausches der Werke von Arno Schmidt nutzte ich mein erstes selbst verdientes Geld als studentische Hilfekraft, um mir damals dieses edle Werk mit seinem wunderbaren Papier und der schönen Gestaltung zu kaufen.
Ich bin jetzt hoch motiviert, einen zweiten Versuch zu unternehmen, das Typoskript zu lesen.

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